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Interesse am Informatikstudium sinkt weiter


Interesse am Informatikstudium sinkt weiter

Heute im Heise-Newsticker: Immer weniger Studienanfänger in Informatik. Zuerst einmal, eine nüchterne Meldung vom Bitkom (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V.), und, wie es ein Forumsbeitrag recht genau auf den Punkt bringt, wundert man sich fast schon, dass nicht sofort wieder ein enormer Fachkräftemangel für die kommenden Jahre vorausgesagt wird. Jedenfalls, ich, als von der Statistik direkt betroffenes Individuum, kann die aktuelle Entwicklung durchaus nachvollziehen.

Uni Karslruhe

Erinnern wir uns zurück an Info I, es war das Jahr 2002, und ich ein 'Ersti' an der Uni Karlsruhe. Erstes Semester, Informatik I, Prof. Goos, empfohlene vorlesungsbegleitende Literatur - welch' Zufall - Goos, Vorlesungen über Informatik Band 1 (ich erspare mir den Amazon-Link). Diamantenlemma und 'wennst du' ist alles, was mir von dieser Veranstaltung geblieben ist (Goos-Kenner wissen, wovon ich rede). Und dieser fast schon verächtliche Blick auf Ingenieure: "Das ist reines Handwerk, das können die von der FH machen". Ich habe meine Zeit an der Uni Karlsruhe zu Beginn fast schon gehasst. Diese Anonymität, diese ineffizienten Massenveranstaltungen, diese völlige Missachtung jeglicher pädagogischer Elementarregeln (man denke nur zurück an Indizes 'i' und 'j' auf einem Tageslichtprojektor mit Schmierhandschrift) und diese teilweise offene "Eure-Blödheit-kotzt-mich-an"-Haltung gewisser Professoren (oben erwähnter Prof. Goos sei hiervon bewusst ausgenommen).

ENSIMAG Grenoble

Seit September 2005 studiere ich nun an der ENSIMAG in Grenoble und bin dort in einem Doppeldiplomsstudienprogramm eingeschrieben. Die ENSIMAG gehört zu einer der besten Schulen im französischen (sehr hierarchischen Schulsystem). Die Abkürzung ENS(IMAG) steht für École Nationale Supérieure, also höchste staatliche Schule. Einer meiner Doppeldiploms-Kommilitonen meinte einmal recht sarkastisch "wenn das eine der besten Schulen Frankreichs ist, dann möchte man nicht die schlechten sehen". Es ist nicht unbedingt so, dass die ENSIMAG schlecht ist, die ENSIMAG ist vielmehr anders. Die Sichtweise ist hier genau umgekehrt wie in Karlsruhe. Hier in Frankreich rümpft man ein bisschen die Nase über die Wissenschaftler in ihren Elfenbeintürmen, Vorlesungen und Praktika sind (zumindest von der Konzeption und dem 'Gedanken dahinter' her) sehr viel praktischer ausgelegt, Beweise werden lässig fallengelassen und der wissenschaftliche Anspruch der Vorlesungen ist meinem Empfinden nach geringer. Anonymität wird hier ersetzt durch die schulklassenartige Atmosphäre, Autonomie durch stures Abpinseln von der Tafel.

Kulturelle Eigenheiten

Man denkt und programmiert auf französisch:
tanque (vrai) faire
si (tampon plein) alors erreur; sinon continue;
fin tanque;
wobei der Variablenname "tampon" dem der französischen Sprache mächtigen Leser bestimmt sofort als "Buffer" eingeleuchtet ist. Während der Franzose ein eigenes Wort kreiert, um obiges Programm von Fehlern zu befreien (déboguer, ausgesprochen wie deh-bö-geh), übernimmt die deutsche Sprache einfach das englische debuggen (ausgesprochen wie die-baggen). Keine der Varianten ist wirklich "besser", man muss nur einfach wissen, dass wenn man Anglizismen im Französischen anwenden möchte, man diese grundsätzlich mit französischer Aussprache glattbügeln sollte. Kenner sprechen von franglais, was unserem Denglisch entspricht. Andererseits würde ein Franzose sich niemals in die sprachlichen Abgründe begeben, in die sich eine deutsche ERASMUS-Studentin hinabgewagt hat, indem sie zu einer Sache nicht agree-en konnte. Ich durfte in der Straßenbahn Zeuge dieses unterhaltsamen Dialogs werden. Die meisten meiner ENSIMAG-Kommilitonen haben übrigens ein recht beschränktes Englisch, weshalb an der ENSIMAG Englischunterricht Pflicht ist, von Anfang an bis zum bitteren Ende, nicht etwa nur das erste Studienjahr.
Wenn der französische Ingenieurshochschuldozent allgemein doch eher die Wissenschaftler belächelt, so werden französische Forschungserfolge stets besonders herausgestrichen ("C'était un Français qui a…").

Rückblick und Ausblick

In Karlsruhe habe ich die Uni nicht besonders leiden können, zum Ende des ersten Semesters hin wollte ich sogar die Informatik ganz aufgeben, danke Mama und Papa fürs mich daran hindern ;-). In Grenoble habe ich die Schule (von "Uni" will ich hier nicht reden) als eher unangenehmen Lebensabschnitt empfunden und plötzlich Karlsruhe nicht mehr sooo schrecklich gefunden. Meine beste Zeit hatte ich in Karlsruhe, als ich die Autonomie des deutschen Studiensystems ausnutzte, mich ein Semester lang genau zwei Monate an der Uni blicken ließ, genau die vier nötigen Klausuren bestand, die ich für Frankreich noch brauchte, und den Rest meiner Zeit in Hamburg bei meinem Praktikum bei Google verbrachte (Februar bis August 2005). Seitdem arbeite ich in Teilzeit für Google, war in den USA als Google Engineering Intern, und ab Februar 2007 werde ich für Google meine Diplomarbeit schreiben.
Sicherlich, ich arbeite nicht gerade einen neuen Beweis über den Gödelschen Unvollständigkeitssatz aus und Skolem-Normal-Formen habe ich auch nicht gerade im Kühlschrank, aber vielleicht - sollte Herr Goos meinen Blogeintrag lesen - würde er mir dennoch zumindest ein wenig anerkennend in seiner väterlichen Art auf die Schulter klopfen und mir zu-fränkeln: "Mei, Bub, wennst du glücklich bist…".
Die letzte Vorlesung meines Unilebens werde ich derweil voraussichtlich am 19. Jänner 2007 begießen. Vielleicht ja mit Feuerzangenbowle, wohl eher nicht mit Professor Goos.

Image from bitkom.org